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Von Populismus und Heckenschützen

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This post is in German since it refers to an event and a related article in Germany.

Die Hamburger IT Strategietage sind hier in Hamburg kürzlich zu Ende gegangen, als mich eine Email eines Kollegen erreicht mit einem Link zu einem Artikel des bekannten CIO Magazins. Darin wird von einem Panel berichtet, das sich mit Vorhersagen im allgemeinen und der derzeitigen Finanzkrise beschäftigt. Da ich selbst nicht im Raum war, kann ich mich nur auf die beschriebenen Aussagen im Artikel von Autorin Chrstiane Pütter beziehen.

An einer Stelle im genannten Artikel werden Gartner, die Analysten, und der Magic Quadrant erwähnt und das hat natürlich meine Aufmerksamkeit bekommen. Dort steht:

Mit einer anderen Aussage nahm sich Fröschl die Analysten vor.

Gemeint ist Dr. Friedrich Fröschl, seines Zeichens Chef einer kleinen Private Equity Firma in München. Welchen Fokus, welches Portfolio und welche Erfolge die HI TEC Invest bisher hatte, ist aus der dünnen Website leider nicht zu erkennen. Fröschl selbst läßt sich gerne noch immer als Ex-CIO von Siemens titulieren, obwohl er dort schon 2004 verärgert ausgeschieden ist. Zu der genannten Podiumsdiskussion wurde Fröschl augenscheinlich als “Agent Provokateur” begrüßt, und diese Rolle hat er durch seine Aussagen auch voll erfüllt.

Wer als Provokateur auftritt, erwartet ja wohl eine Reaktion. So soll es denn sein.

“Gartner-Quadranten sagen wenig über die Zukunft aus”, sagte er.

Es ist mir nicht bekannt, ob oder wann zuletzt Fröschl mit einem Gartner Analysten gesprochen hat, sonst hätte man Fröschl gegebenenfalls den Magic Quadrant erklärt. Fröschl impliziert, daß Gartner behauptet, ein Magic Quadrant könne die Zukunft voraussagen. Dem ist natürlich nicht so. Selbstverständlich wird dort ein gewisses Potenzial abgebildet, was sich aus den angelegten Evaluierungskriterien (Größe, Wachstum, Verkäufe, Umsätze, Mitarbeiter, Produktportfolio, R&D Investments, Allianzen, usw.) ergibt. Als alleinige Entscheidungsgrundlage für zukünftige IT Investitionen in einem bestimmten Markt ist ein Magic Quadrant nicht positioniert.

Erfolgreiche Unternehmen tauchen oft erst spät bei den Analysten auf. Der vierte Quadrant biete keine Investitionssicherheit.

Diese Aussage kann man so nicht stehen lassen. Zunächst mal ist “Erfolg” immer relativ. Eine beliebige Garagenbude mag schönen Erfolg haben, das heißt aber nicht, daß irgendein Analyst davon gehört haben muß, oder daß diese “Firma” überhaupt relevant ist.

Ob Unternehmen mit gewissem Erfolg erst “spät” (was bedeutet das?) von den Analysten wahrgenommen werden, kann Fröschl mit Sicherheit nicht beurteilen. Es ist sicher nicht so, daß wir über jede Entwicklung eines Mini-Unternehmens gleich einen Bericht schreiben. Trotzdem kann diese Firma über Jahre auf dem Analysten-Radar sein.

Der “vierte Quadrant”? Die Quadranten sind zwar nicht numeriert, und der “vierte” wäre bei normaler Zählung auch nicht rechts oben, aber ich vermute es geht um die “Leaders.” Der Magic Quadrant und insbesondere der Leaders Quadrant ist nicht das Vehikel um Investitionssicherheit zu gewährleisten. Zwar ist die Stabilität eines Herstellers im “Leaders Quadrant” wahrscheinlich höher als die eines Nischenanbieters, aber eine Investitionssicherheit läßt sich eben nicht an der Position eines Pünktchens auf einem Quadranten festmachen. Das wird auch von Gartner niemals so behauptet.

Um es nochmal deutlich zu machen, der Magic Quadrant und insbesondere der “Leaders” Quadrant soll nicht als einzige Grundlage für Investitionsentscheidungen herhalten. Trotzdem wird er immer wieder als genau das benutzt. Es ist im übrigen auch nicht der Fehler des Magic Quadrant, wenn ein Entscheider keine Investitionssicherheit hat.

“Wenn die Leute bei Gartner und ntv das wirklich wüssten, wären sie reich und bräuchten nicht zu arbeiten”, stellte [Rainer Janßen] fest.

Bei dieser Aussage von Rainer Janßen, CIO bei der Münchner Rück, geht es wahrscheinlich um Voraussagen von Gartner zu IT Märkten. Ob ntv auch solche Voraussagen trifft, ist mir nicht bekannt, wundern würde es mich allerdings. Jedenfalls habe ich noch keinen IT Analysten von ntv getroffen.

Was Janßen allerdings entgeht, ist die Tatsache, daß wir als Analysten gar nicht in Firmen unserer Coverage investieren dürfen. Das bedeutet, daß selbst wenn wir nicht-öffentliche Informationen haben, zum Beispiel auf Basis eines Non-Disclosure Agreements, können wir sie nicht verwenden um eventuell Aktien des Unternehmens zu kaufen oder zu verkaufen, weil wir eine bestimmte Richtung des Aktienkurses erwarten. Hier ist Janßen einfach unzureichend informiert.

Die Münchner Rück ist natürlich “reich” im Sinne des Geschäftsergebnisses, investiert große Summen in Informationstechnologie und beschäftigt ganze Abteilungen von Statistikern, aber auch hier wurden in der Vergangenheit Verluste eingefahren, weil eben die Voraussagen und Annahmen nicht stimmten. Erdbeben, Tsunamis und andere Katastrophen lassen sich eben nur eingeschränkt vorhersagen. Deswegen vertraut der Rückversicherer auch nicht auf Tarot Karten und Wünschelruten, sondern baut auf harte Fakten und Daten, aber kalkuliert gleichzeitig auch unsichere Voraussagen und ein damit verbundenes Restrisiko mit ein. Ein Analyst macht das nicht anders.

“Gartner-Analysten glaube ich erst, wenn ihr Honorar erfolgsabhängig ist, wenn sie mir also was zurückzahlen, wenn es kein guter Tipp war. So lang es das nicht gibt, denke ich lieber selbst.”

Wenn Janßen den Gartner Analysten nicht glauben will, ist das völlig in Ordnung. Er befürchtet anscheinend, daß wir für ihn irgendwelche (potentiell falschen) Entscheidungen treffen. Das tut ein Gartner Analyst grundsätzlich nicht. Der Kunde muß schon selbst entscheiden und beurteilen, welchen Stellenwert die Gartner-Aussage in einem gegebenen Kontext hat. Insofern ist “selber denken” durchaus angebracht. Gartner vertritt eine Meinung und wir geben auch Empfehlungen ab, allerdings nicht in der Form “Kaufen Sie das Tool von Hersteller XY und alles wird gut.” Darüberhinaus ist der Erfolg einer Implementierung ja nicht von dem gekauften Tool allein abhängig, sondern von einer ganzen Reihe von Parametern, auf die Gartner überhaupt keinen Einfluß hat. Daher kann das Honorar auch nicht erfolgsabhängig sein. Würde die Münchner Rück einen Prozentsatz des Gewinns an Gartner abtreten, wenn eine Empfehlung zu einer erfolgreichen Implementierung geführt hat? Sicher nicht.

Schließlich schlug Friedrich Fröschl vor, Systeme, die kaum genutzt werden und bloß noch vor sich hindümpeln, einfach abzuschalten. Ohne Vorwarnung. Und dann mal gucken, ob sich einer wehrt.

Diese “Empfehlung” ist zwar nicht auf Gartner gemünzt, trotzdem halte ich es für angemessen, vor solchen Schüssen aus der Hüfte zu warnen. Es klingt vielleicht lustig, aber bewußt einem aktiven System den Saft abzudrehen, ist grob fahrlässig. Eine Konsolidierung von Systemen macht sicher in vielen Fällen Sinn, aber um eine ordentliche Analyse des Benutzerverhaltens und des Systemprofils kommt man nicht herum.

Diese Aussage ist in etwa so hilfreich wie die Empfehlung “Wenn Sie wissen wollen, ob der Airbag ihres Autos funktioniert, fahren Sie doch mal mit 100 km/h gegen eine Wand.” Mit solchen Parolen erntet man vielleicht einen Lacher bei einer lockeren Diskussionsrunde, aber nicht unbedingt Respekt.

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